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Vereine in der Schweiz – Vom Aussterben bedroht?

Rund 100'000 Vereine zählt die Schweiz. Tendenz sinkend. Beginnt diese Säule der Gesellschaft nun langsam zu bröckeln, weil immer weniger Bürgerinnen und Bürger bereit sind, sich freiwillig zu engagieren?

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30. Juli 2018, die Mitglieder des Vereins „Sunset Beatz“ versammeln sich schon am frühen Morgen auf dem Parkplatz des Seebads Baldegg. Hier wird am Freitag und Samstag zum 13. Mal eine Party für rund 3500 Personen aus dem ganzen luzernischen Seetal steigen. Doch erst einmal gilt es, alles für das grosse Fest herzurichten. Für sieben Tage engagieren sich die rund 50 Vereinsmitglieder sowie unzählige Freundinnen und Freunde ohne Entgelt für den Aufbau, die Durchführung und den Abbau des Fests.

 

Vereine haben in der Schweiz eine lange Tradition: Beatrice Schumacher zeigt diese rund 300-jährige Geschichte in ihrem Buch Vereine in der Schweiz – Die Schweiz und ihre Vereine detailliert auf. Sie erwähnt dabei auch den ausserordentlichen Stellenwert von Vereinen in der Schweizerischen Gesellschaft, wo sie vielfältige Rollen ausüben: Die Übernahme öffentlicher Aufgaben, Anregung zu Reflexion und Bildung, das Kundtun gruppenspezifischer Interessen, Bereicherung der Freizeitgestaltung oder die Förderung der Gemeinschaftsbildung.

 

Roland Gloor, Mitglied seit der ersten Durchführung des „Sunset Beatz“ 2006, erster und immer noch amtierender Präsident des Vereins, erzählt, dass das „Sunset Beatz“ eigentlich spontan entstand. In einer Bar unterhielt er sich im Frühsommer 2006 mit zwei Bekannten, die jeweils mit ihren Freundeskreisen kleine Partys im Seetal organisierten. Schnell kam die Idee auf, einmal zusammen etwas auf die Beine zu stellen – eine grosse Party ganz nach ihrem Gusto. Nur eineinhalb Monate nach dem besagten Gespräch feierten rund 300 BesucherInnen das erste „Sunset Beatz“. Die Party dauerte damals nur einen Tag. Bei den Leuten kam der Event gut an und etablierte sich so über die Jahre. 2010 war er bereits so gross, dass es kritisch wurde, als Privatperson für allfällige Verluste zu haften und der Verein „Sunset Beatz“ wurde offiziell gegründet.

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Aus einer solchen spontanen Idee oder mit ganz bewussten Absichten sind auch die anderen 100'000 Vereine in der Schweiz gegründet worden, vom Sport- über sozial-karitative- bis zu den kulturellen Vereinen. Doch ein Blick auf die Zahlen, die vom Freiwilligen-Monitor Schweiz erhoben wurden, lässt aufhorchen: In allen Bereichen sind die Zahlen rückläufig.

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Vereinsmitglied bei den Aufbauarbeiten für das Sunset Beatz (Bild: Marcel Buchmann)

Marcel Buchmann, 11.10.18

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Vereinsmitgliedschaft von über 15-jährigen in der Schweiz 2006, 2009, 2014. SGG, Freiwilligen-Monitor Schweiz 2016 

Von 2006 bis 2014 sank der Bevölkerungsanteil, welcher Vereinsmitglied ist, um 13 Prozentpunkte von 80 Prozent auf 67 Prozent. Bei den Aktivmitgliedern, wo die Zahlen zwischen 2006 bis 2009 noch stabil blieben, fielen sie bis zur letzten Erhebung 2014 um fünf Prozentpunkte auf 53 Prozent. Die gefährlichste Entwicklung findet jedoch in dem Bereich statt, wo die Vereine schon seit längerer Zeit mit Problemen zu kämpfen haben: Es lassen sich immer weniger Leute finden, die freiwillig bereit sind, ein Amt zu übernehmen. Obwohl immer noch ein Viertel der Schweizer Bevölkerung ein formelles, freiwilliges Amt ausüben, zeigt die Entwicklung nach unten und viele Vereine stossen an ihre Grenzen. Es fehlen Personen, die praktische Arbeiten, wie beispielsweise die Organisation und Durchführung von Veranstaltungen und Treffen erledigen. Auch die ehrenamtlich Tätigen, also jene, die freiwilligen Arbeit ausserhalb von Vereinen oder Organisationen leisten, nehmen laut der Studie der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) ab.

 

Diese Entwicklung ist beängstigend. In ihrem Buch zur Entwicklung der Vereine in der Schweiz, erwähnt die Autorin Beatrice Schumacher die aktuelle Tendenz des Staates, sich immer mehr auf seine Kernaufgaben zu reduzieren. In den dadurch entstehenden Leerräumen verortet sie das grosse Potential von Vereinen: Wenn weder Staat noch Wirtschaft bereit ist, sich für Solidarität, Eigenverantwortung und Engagement in der Gesellschaft einzusetzen, liegt es unter anderem an den Vereinen, solche Werte zu vermitteln.  

 

Beim „Sunset Beatz“ konnte der schweizweiten Entwicklung bis jetzt entgegengewirkt werden. 54 Mitglieder zählt der Verein laut Gloor aktuell, Tendenz steigend. Er ist froh, auf ein grosses Engagement der Frauen und Männer zählen zu können. Der Vorstand mit Kassierer, Aktuar und Revisor sowie das 13-köpfige OK für den Event im Spätsommer entlasten Roland Gloor. „Es ist trotzdem kein Zuckerschlecken, ein solches Amt auszuüben“, meint der 35-Jährige. Rund 40 Stunden wendet er im Jahr für die Vorstandsarbeit und Eventvorbereitungen auf. Dazu kommen OK Sitzungen und Gespräche mit Lieferanten, Sicherheitsleuten etc. In der heissen Phase vor und nach der zweitägigen Party ist er während zehn Tagen jeden Tag zwischen 4 und 16 Stunden in diversen Bereichen tätig. Trotzdem macht er es auch nach 13 Jahren immer noch mit viel Herzblut: „Obwohl wir während dem Sunset Beatz nicht mehr selber Party machen können wie in den Anfangstagen, ist es doch toll, den Gästen eine Freude zu bereiten. Und während dem Auf- und Abbau oder beim alljährlichen Vereinsausflug bleibt immer noch Zeit, ein paar Biere mit Freundinnen und Freunden zu kippen.“

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